Ohne Geld von Mainz nach Peking
ZDF.reporter Dara Hassanzadeh auf Marco Polos Spuren

Nach Peking oder an einen anderen fernen Ort zu reisen, das ist im Zeitalter weltumspannender Flugnetze an sich nichts Besonderes. Bewältigt man die Strecke aber auf dem Landweg und dazu noch ohne Geld, dann ist das außergewöhnlich. ZDF.reporter Dara Hassanzadeh hat sich dieser Herausforderung gestellt. Jetzt berichtet er in einem Buch über seine 15.610 Kilometer weite Reise.
Angefangen hat alles mit einem Buch über Marco Polo. Bei Umzugsvorbereitungen fiel es Dara Hassanzadeh wieder in die Hände. Sofort war er aufs Neue gefesselt von dem Bericht über die Erlebnisse des Venezianers: „Ich schwebte entlang der Seidenstraße, eroberte Frauen der verschiedensten Kulturen und wurde dank meiner ungeheuren Schlitzohrigkeit als Händler der Schreck aller Basaris“.
Marco Polo musste seine Reisen als Tauschhändler bestreiten, Kreditkarten und Traveller-Schecks gab es noch nicht. Dara wollte wissen, ob das auch heute noch funktioniert. Die Idee gefiel auch seiner Redaktion. So machte sich Hassanzadeh auf zur ZDF.reporter-Sommerreise.
Am 1. Juli 2001 ging es los. „Peking“ stand auf einem Papp-Tablett aus der ZDF-Kantine, mit dem sich Dara an die Autobahn in Mainz-Lerchenberg stellte. Der Anfang war schwer. Doch je weiter er in den Orient kam, um so besser kam der ZDF.reporter voran. Nach 58 Tagen erreichte er schließlich die chinesische Hauptstadt.
In seinem Buch erzählt Dara Hassanzadeh von seinen Erlebnissen als Tausch-Reisender. Er schildert seine Erfahrungen als Tramper und Zugpassagier und seine Eindrücke von fremden Kulturen. So entstand das spannende und witzige Buch einer ungewöhnlichen Reise.
Dara Hasanzadeh, Jahrgang 1973, ist in Bad Dürkheim in der Pfalz aufgewachsen und hat dort 1992 Abitur gemacht. Seit 1999 arbeitet er als Online-Redakteur beim ZDF, seit Januar 2000 bei ZDF.reporter.

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Lesen Sie was "Mannheimer Morgen" über Dara Hassanzadehs Buch schrieb

Als Tauschhändler auf Marco Polos Spuren
Reise ohne Geld in 58 Tagen von Mainz nach Peking
Von Ralf-Carl Langhals

Nach Peking zu kommen, ist im Zeitalter weltumspannender Flugnetze an sich nichts besonderes. Wenn man sich aber zur Auflage macht, dabei keinen Pfennig Geld auszugeben, wird das ein schwieriges Unterfangen. Dara Hassanzadeh durchquerte als tauschender Händler Deutschland, Österreich, Ungarn, Serbien, Griechenland, die Türkei, den Iran, Pakistan und China und legte ohne jedes Startgeld in 58 Tagen 15 610 Kilometer zurück. Angefangen hat alles mit einem lästigen Umzug. Das überquellende Bücherregal musste ausgemistet und dessen für aufbewahrungswürdig erachteter Anteil in Kisten verpackt werden, um die Schlepperei für seine Mainzer Freunde erträglicher zu machen. Dabei fiel dem gebürtigen Bad Dürkheimer ein zerlesenes Buch aus Kindertagen in die Hände: Gary Jennings "Marco Polo, der Besessene". Statt aufzuräumen verfiel der 30-jährige in exotische Tagträume, sah sich auf den Spuren des venezianischen Handelsreisenden die Seidenstraße entlangschweben, eroberte weibliche Schönheiten verschiedenster Kulturen und wurde dank seiner Schlitzohrigkeit als Händler zum Schrecken aller Basaris.
Doch wie das so ist mit Tagträumen, ein Blick in die Kontoauszüge sorgt für schnelles Erwachen. Ein gewisses Talent für geschäftstüchtige Ideen hat er wohl dennoch von dem mittelalterlichen Weltreisenden Marco Polo in die Realität retten können: Wie wäre es, wenn man versuchte, ohne Geld, einfach nur durch Tauschgeschäfte, die Tour vom Wohnort Mainz bis in das Reich der Mitte zu finanzieren? Unbrauchbaren, für ihn mittlerweile wertlosen Krimskrams, der in anderen Kulturen aber vielleicht den Hauch westlicher Exotik verströmt, hatte er bei seiner Entrümpelungsaktion genügend sicher stellen können.
Der Online-Redakteur machte seinem Chef von ZDF.reporter die Reise durch das Versprechen einer täglichen Berichterstattung via Internet schmackhaft, auch hier schien auf den gesunden Händlersinn des großen Polo Verlass zu sein. Der Boss schlug ein, ihm wurde technisches Equipment zur Verfügung gestellt, und schnell verschlang Marco Polos Erbe Reiseführer, studierte Erlebnisberichte und Landkarten. Statt der Seidenstraße folgte er der südlicheren Landroute, schließlich wollte der Sohn eines persischen Ingenieurs und einer hessischen Kindergärtnerin noch bei seiner Oma vorbeischauen, die in der Pilgerstadt Mashad im Nordosten des Irans wohnt.
Mit einem Rucksack voller Tauschprodukte wie Barbiepuppen, Schweizer Messer, Parfümproben, Bayern-Wimpel, Batterien, Stofftiere und gebrauchte Armbanduhren ging es dann an einem frühen Sonntagmorgen im Sommer letzten Jahres an der Autobahnauffahrt Mainz-Lerchenberg los. Aus der ZDF-Kantine hatte er sich eine Tortenpappe entliehen, die er mit der Aufschrift Peking zierte, dann hielt er den Daumen raus und hoffte auf zahlreiche Reisende Richtung Osten.
Doch Trampen heißt warten, vor allem in Deutschland, wo ihn Urlauber und Brummifahrer mit diesem Zielschild wohl eher für einen Bekloppten hielten. Lachend sieht er das heute als einen Vorteil, denn "so haben mich wirklich nur witzige und interessante Leute mitgenommen!" Über Wien, Budapest und Belgrad kommt er daher fast ohne Handelseifer durch nette Menschen, die seine Idee amüsiert, und die ihn zur Belohnung für seinen Spleen auch noch für eine Nacht unterbringen.
Doch bald wird es härter, niemand will seine Produkte haben, er ist zu schüchtern, traut sich nicht recht, seine Waren auf den Straßenmärkte auszulegen und muss stunden- und tagelang auf Raststätten und Zufahrtsstraßen herumlungern. Schon kommen ihm erste Zweifel, ob die Reise eine gute Idee war. Übernächtigung, Hunger und Sprachbarrieren beginnen, ihn zu demoralisieren. Fast scheint es, als habe sein Schutzpatron Marco Polo seine Hand von ihm genommen. Aber zwischen Istanbul und Täbris geht die orientalische Händlersonne langsam über ihm auf, er feilscht, was das Zeug hält, tauscht für Transport, Essen und Unterkunft und kommt gut voran.
Manchmal funktioniert die Reisekostenabrechnung nach der Gleichung 1 Tippkickspiel + 1 Barbie = 3 Übernachtungen. Manchmal tauscht er mitgebrachte Waren konventionell gegen Geld, um sich damit die Mitnahme in fremdem Autos zu erkaufen, denn Trampen ist jenseits des Bosporus keineswegs gratis und jeder Autobesitzer eigentlich nebenerwerblich Taxifahrer. Kugelschreiber, Mainzelmännchen-Aufkleber und Barbiepuppen entwickeln sich im Nordwesten des Irans zu Verkaufsschlagern, die bei reichlich gesüßtem Tee rasch vom Teppich gehen, und Hände und Füße mindern zunehmend das Sprachdefizit.
Das Geld für über 1000 Kilometer Busfahrt zur Oma hat er zusammen, den Rest investiert er in Safran, eine klassische Tauschware für alle Fälle, mit der bereits Marco Polo gute Erfahrungen gemacht hatte.
Nach einer großen Familienfeier mit Verwandtschaft bis zum vierten Grad verabschiedet er sich schweren Herzens und kommt über Zahedane am 35. Tag seiner Reise über die pakistanische Grenze, wo es ihm gelingt, bei einem Fußballfan ein Kicker-Heft gegen eine Übernachtung einzutauschen.
Die endlosen Wüstenfahrten mit silber im Vollmondlicht schimmernden Bergsilhouetten sind ihm in bester Erinnerung, die Toiletten- und Komfortverhältnisse dagegen weniger. "Man erfährt super viel über sich selbst und merkt, wie man tickt, merkt, wer einem wirklich fehlt, oder wie die eigene Frustrationstoleranz täglich größer wird. Außerdem lernt man mehr über die eigene Kultur als über fremde Völker. Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, geregelte Reiserouten werden zu lieben Erinnerungen, wenn man tagelang im staubigen Niemandsland auf einen angekündigten Bus wartet." Seine Einstellung zur Deutschen Bahn habe die Reise auf jeden Fall wesentlich verbessert, subsumiert Dara seine Eindrücke grinsend.
Aus Deutschland haben ihm Radiohörer und Fernsehredaktionen per Post oder touristische Boten weitere Tauschgüter zukommen lassen, die Kapazität seines Rucksacks war bei Abreise ohnehin erschöpft. "An manchen Orten schämte ich mich etwas für meine künstlich verursachte Armut, dennoch hatte ich nie den Eindruck, dass ich als Schnorrer gesehen werde."
In Islamabad wird er vom pakistanischen Staatsfernsehen interviewt, was Dara zu einem gewissen Bekanntheitsgrad verhilft und ihn in den Genuss eines märchenhaften Luxusaufenthalts bei einem Diamantenhändler bringt. "Mein südländisches Aussehen war ein Vorteil für mich, ein großer blonder Skandinavier hätte es sicher schwerer gehabt, ohne Sprachkenntnisse das Vertrauen der Menschen zu gewinnen."
In Peschawar trifft er einen Professor für Literatur, der in Harvard studiert und in den USA auf 250 000 Dollar Jahresgehalt verzichtet hat, um als Clanchef auf eigener Scholle, dem Afridi Land, zu leben. Er nimmt Dara mit in das Fort seines Clans im Tribal Area, wo Stammesabkommen und offizielle Gerichtsbarkeit nicht im Hoheitsbereich des pakistanischen Staates liegen und Blutrache und Abschreckung geltendes Recht sind. Obwohl er dort nicht leben möchte, ist er fasziniert von der bizarren Mischung archaischer Machtregeln und moderner Aufgeschlossenheit des Clan-Chefs Afridi.
Nach Überwinden des Kunjerab-Passes, umgeben von einsamen Berggipfeln in 7000 Meter Höhe, freut er sich auf den berühmten Markt von Kaschgar am Rande der Taklamakan-Wüste, wo ihm der Verkauf des persischen Safrans am 56. Reisetag die 24-stündige Busfahrt nach Ürümchi, der vorletzten Reisestation, ermöglicht. Dort erringt er unter mehrtägigem Einsatz eine Zugfahrkarte nach Peking, funktioniert den Waggon in kommunikativer Enge aus alter Gewohnheit zum Basar um und bringt letzte Tauschwaren an den Mann.
Glücklich steht er auf dem Platz des Himmlischen Friedens, und obwohl er keinen Staatsempfang wie zu Zeiten der Ming-Dynastie erwartet hatte, war er etwas enttäuscht, dass sich dort zwischen Heerscharen von Touristen kein Mensch für ihn interessierte. Ganz bieder mit Kreditkarte, die ihm ungenutzt als psychologische Stütze und potentieller Rettungsanker so manche Beschwerlichkeit ertragen ließ, bucht er am nächsten Tag seinen Heimflug und kommt sich dabei komisch vor: Ritsch-ratsch - und der Handel ist gelaufen, was Dara als Schrecken der Basaris äußerst unbefriedigend findet. "Was, und in China kein intensiver Tourismus mehr, wenn man doch schon mal da ist?" frage ich entgeistert. "Unter uns", lächelt Dara, "mir hat's gereicht!"
© Mannheimer Morgen – 23.03.2002

Lesen Sie, was "Sonntag aktuell" über Dara Hassanzadehs Buch schrieb:

Der Marco Polo vom Lerchenberg
Bad Dürkheimer Dara Hassanzadeh auf "Tausch-Reise" in den Orient

Mainz. Es ist Sonntag, und der Mann mit dem Rucksack steht an der Autobahnauffahrt Mainz-Lerchenberg und streckt den vorbeifahrenden Autos ein Pappschild mit der Aufschrift "Peking" entgegen - ein Verrückter? Wahrscheinlich, denn es sind 15.610 Kilometer von Mainz nach Peking, eine Strecke, die man gemütlich in einem großräumigen Flugzeug zurücklegen könnte. Doch Dara Hassanzadeh ist ein Abenteurer, ein verrückter Abenteurer, wenn man so will. Seit er Marco Polos Erlebnisse entlang der Seidenstraße in seinem Bücherschrank wiederentdeckt hat, träumt er die Gedanken des berühmten Venezianers: Als Tauschhändler durch aller Herren Länder eine Reise vom Abendland ins Morgenland antreten und es "dank meiner Schlitzohrigkeit" bis auf den Platz des Himmlischen Friedens in der chinesischen Hauptstadt zu schaffen.
Dara Hassanzadeh, der in Bad Dürkheim als Sohn einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters aufwuchs, hat es geschafft - und darüber ein Buch geschrieben: "Die Tausch-Reise". Darin erzählt der als Online-Redakteur beim ZDF beschäftigte 28-Jährige von seinen Erlebnissen mit fremden Menschen, unbekannten Bräuchen, widrigen Temperaturen und seltsamen Speisen. Es sind Berichte über 58 Tage zwischen Glücksgefühl und Horrorvision, 58 Tage ohne Kreditkarten und Travellers-Schecks.
Die Währung des Reporters waren Kugelschreiber, T-Shirts, Mainzelmännchen-Anstecker, Schweizer Taschenmesser, Lippenstifte, Mozart-CD's, Plastik-Dinosaurier, die nachts leuchten, oder ein Teddy, der "La Bamba" singt - alles Produkte, die Hassanzadeh und seine Kollegen vor der Abfahrt gekauft haben oder die er während der Reise geschenkt bekam. Weil "persisches Händlerblut" in seinen Adern fließe, so der Autor vor der Reise selbstbewusst, werde er sicher der König der Basare werden. Doch die Sache lässt sich zäh an: Der Marco Polo vorn Lerchenberg muss erfahren, dass die Zentraleuropäer es doch lieber mit echtem Geld zu tun haben. Erst ab Belgrad klappt es mit dem Tauschen, vorher ist es seine "Idee von der Reise", die er praktisch für eine kostenlose Mitfahrgelegenheit oder ein Nachtlager verkauft.
Gelegentlich kommen dem unverdrossenen Abenteurer auch Zweifel an der Unternehmung. Beim Anblick der Straßenkinder im türkischen Dogubayazit räsoniert er: "Ich bin nicht aus wirtschaftlicher Not knapp bei Kasse, sondern weil mir im sorgenfreien Deutschland der Gedanke kam, dass es äußerst spannend wäre, tauschend nach China zu reisen. Das wir hier keiner verstehen." Doch allein wegen Hassanzadehs bunter Schilderungen des Alltags im Orients hat sich die Reise gelohnt. Der persische Pfälzer ist ein witziger Erzähler, voller Selbstironie und mit leichtem Hang zur humorvollen Übertreibung.
Das macht sein Buch zu einer unterhaltsamen Mischung aus durchtriebenem Schelmenroman und subtiler Landeskunde. Allerdings muss man als Leser anfangs eine kleine Durststrecke überwinden - spannend wird die "Tausch-Reise" eigentlich erst, wenn Hassanzadeh den Iran durchquert, sinnlose Grenzkontollen über sich ergehen lässt, reich beschenkt und fast bestohlen wird und als "Basari" richtige Erfolge beim Feilschen erzielt.
Und geradezu fesselnd sind die Erlebnisse des Trampers auf der letzten Etappe, als es über den Kunjerab-Pass nach China geht, wo der ZDF-Reporter mit dem ersehnten letzten Satz seinen Reisebericht abschließen kann: "Ich bin in Peking!!!"
Winfried Folz
Copyright 2001 "Sonntag Aktuell – Die siebte Ausgabe der Rheinpfalz", Sonntag, 2. Dezember 2001

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